Die verlorene Glaubwürdigkeit der Schweizer Grossverleger

Die geplante Förderung der Schweizer Medien droht an der Urne zu scheitern. Und dies zu Recht. Aus liberaler Sicht sind die Subventionen abzulehnen. Aber auch Linke dürfen sich fragen: Brauchen schwerreiche Unternehmer wirklich Staatshilfe? Ein Kommentar von Benedict Neff aus der NZZ vom 05. Oktober 2021

Sonntagsreden haben bei Verlegern eine gewisse Tradition. Immerhin ist man vierte Gewalt im Staat. Man verkauft nicht Süssgetränke oder Socken, sondern Zeitungen, die die Bürger informieren und Grundlage für deren Meinungsbildung sind. Freie und unabhängige Medien seien für die Demokratie unerlässlich, schrieb der Schweizer Verlegerpräsident Pietro Supino kürzlich in den Tamedia-Zeitungen. Glaubwürdigkeit sei das grösste Kapital der Medien. All dem kann man nur beipflichten. Umso mehr wundert man sich, dass der Verlegerpräsident und seine Verbandskollegen so fahrlässig mit der Glaubwürdigkeit des Journalismus umgehen.

Der Schweizer Bundesrat und das Parlament wollen den Verlegern mit weiteren Subventionen helfen. Und diese greifen gerne zu. Vom Stress der Digitalisierung – die sie mittlerweile auch ein wenig als «Chance» sehen – kaum erholt, hat den Verlegern nun auch noch die Corona-Krise zugesetzt. Werbegelder erodieren, Print-Abonnenten sterben. Da scheint die Staatshilfe mehr als gerecht.

Bund finanziert journalistische Inhalte

Statt jährlich 50 Millionen Franken sollen die Medienunternehmen künftig 178 Millionen Franken bekommen. Während sieben Jahren sollen so weitere 50 Millionen Franken an die Post gehen, und mit 40 Millionen Franken soll die Frühzustellung durch Zeitungsboten subventioniert werden. Stehen diese staatlichen Zuwendungen im Rahmen einer indirekten Medienförderung, so sollen weitere 30 Millionen Franken direkt an Online-Bezahlmedien ausgeschüttet werden. Damit würde der Bund nicht mehr nur die Distribution von Nachrichten unterstützen, er würde selbst journalistische Inhalte finanzieren.

Der Widerstand liess nicht lange auf sich warten. Das Komitee «Staatsmedien Nein» hat laut eigenen Angaben bis Ende September schon über 100 000 Unterschriften gesammelt. Bereits Anfang des nächsten Jahres dürfte die Sache vors Volk kommen. Die Chancen stehen gut, dass die Verleger krachend scheitern. Und als Nebeneffekt mit einem ramponierten Image aus der politischen Auseinandersetzung gehen.

Reiche bis schwerreiche Familien

Zu den Auffälligkeiten der geplanten Medienförderung gehört, dass der Bund nicht sagen kann oder will, welcher Verlag wie viel Geld bekommen würde. Dies scheint gute Gründe zu haben, denn die Förderung würde vor allem die grossen und auflagenstarken Medienhäuser begünstigen – TX Group, Ringier, CH-Media, Somedia und auch die NZZ. Dies wiederum hat dazu geführt, dass sich die Gegner der Medienförderung zu Recht etwas eingehender mit den Eigentümern dieser Verlage beschäftigen.

Bei den Familien Coninx (TX Group), Ringier (Blick) und Wanner (CH-Media) handelt es sich um reiche bis schwerreiche Familien, die über Jahrzehnte vorzüglich am Mediengeschäft verdient haben und immer noch gut verdienen. So machte die TX Group unter dem Verwaltungsratspräsidenten Pietro Supino 2020 zwar Verluste, verbuchte aber immer noch einen operativen Gewinn vor Abschreibungen von 130 Millionen Franken. Vor kurzem gaben die TX Group und Ringier bekannt, dass sie ihre nach wie vor einträglichen Online-Marktplätze (vor allem Job- und Immobilienportale) zusammenlegen. Der Börsenkurs der TX Group schnellte nach oben.

«Primitiver Populismus», «pure Polemik»

«Keine Steuermillionen für Verlegermilliardäre» schreiben die Initianten zum Referendum auf ihrer Website. Diese Personalisierung gefällt den Grossverlegern gar nicht, legen sie doch Wert darauf, dass es bei der Medienförderung nicht um sie, sondern um Demokratie, Solidarität und das Überleben der kleinen Verlage gehe. Der Ringier-Chef Marc Walder spricht von «primitivem Populismus». Pietro Supino pflichtet Kollege Walder in einem Interview von CH-Media (Familie Wanner) bei: «Das ist pure Polemik – und sachlich falsch.»

Mit Stilkritik reagiert oft, wer nicht in der Lage ist, die Argumente des Gegners auseinanderzunehmen. Wo Supino recht hat: Indirekte Medienförderung gibt es in der Schweiz schon lange, rund 170 Jahre. Trotzdem würde nur eine Minderheit im Land behaupten, die Schweizer Medien seien kollektiv in einer sklavischen Abhängigkeit vom Staat. Gewichte können sich über die Zeit allerdings verschieben. Wenn sich Verlage nicht mehr auf ihre eigenen Einkünfte, sondern zunehmend auf das Geld der Steuerzahler verlassen, verändert sich auch ihr Verhältnis zum Staat.

Der Verlegerpräsident weicht aus

Den kritischen Einwand, dass die grossen Verlage von der Medienförderung am meisten profitieren würden, kann Supino nicht entkräften. Zwar bekämen die kleinen Verlage proportional mehr Geld. Dies könne aber auch nicht verhindern, dass der Wettbewerb durch die Medienförderung weiter verzerrt würde. Bei der Frage, ob die direkte Medienförderung aus liberaler Sicht vertretbar sei, weicht Supino aus: «Das ist der kleinere Teil des Medienpakets.»

Hier geht es aber nicht einfach um die Höhe von Frankenbeträgen. Es geht ums Prinzip. Aus liberaler Sicht ist die Sache eindeutig: Eine solche Medienförderung ist abzulehnen. Für die Glaubwürdigkeit privater Medienunternehmen ist die grösstmögliche Unabhängigkeit von zentraler Bedeutung. Nur so ist eine kritische Berichterstattung möglich. Journalisten müssen Bedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben, sich mit den Mächtigen anzulegen. Journalisten müssen nahe an der Politik sein und gleichzeitig so staatsfern wie nur möglich. Voraussetzung für diese Unabhängigkeit ist ein privates Finanzierungsmodell. Schaffen es die Verlage nicht, ihre sinkenden Abo- und Werbeerlöse zu kompensieren, verlieren sie ihre Existenzberechtigung. Der Bund als Abonnent mag für die SRG ein patentes Modell sein, für private Medienunternehmen ist er Gift.

Der Fall TX Group

Das ist die prinzipielle Überlegung. Daneben interessiert aber auch, wer oder was genau subventioniert werden soll. Das Komitee gegen die Medienförderung legt, polemisch oder nicht, die Finger auf den wunden Punkt. Die TX Group, die von den Subventionen am stärksten profitieren würde, verwaltet 40 Prozent der veröffentlichten Meinung in der Deutschschweiz und 70 Prozent in der Westschweiz. «20 Minuten», «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung», «Basler Zeitung» – all das und noch viel mehr gehört zum Imperium der Familie Coninx.

Wer glaubt, dieses Zeitungskonglomerat habe sich in den letzten Jahren um den Journalismus besonders verdient gemacht, irrt. Obwohl sich der Verlag ein eigenes Korrespondentennetz gut leisten könnte und dies der Förderung von Schweizer Journalisten zweifellos dienen würde, stammt der Ausland-Teil bis auf wenige Artikel aus der «Süddeutschen Zeitung». Trotz der Grösse des Unternehmens wurde der Anspruch, eine eigene Zeitung zu kreieren, begraben.

Die TX Group hat ihr Geschäft in den vergangenen Jahren erfolgreich und renditebewusst optimiert. Sie hat so professionell wie kein anderes Schweizer Medienunternehmen nach den Regeln des Kapitalismus gespielt, sich den Markt einverleibt und die Kosten gedrückt. Das kann man machen. Stossend und bigott wird es aber, wenn ein solches Unternehmen die hohle Hand macht und die Steuerzahler bittet, für die angeblich notwendigen Investitionen aufzukommen, die es selbst schon lange nicht mehr tätigen will.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Wer Subventionen für andere Branchen kritisch sieht und für freie Marktwirtschaft wirbt, selbst aber Staatsgelder in Anspruch nehmen will, verliert zu Recht an Glaubwürdigkeit. Linke, staatsnahe Medien haben dieses Glaubwürdigkeitsproblem weniger. Aber auch sie und ihre Leserinnen und Leser müssten sich eigentlich kritische Gedanken zu dieser Medienförderung machen. Ist es tatsächlich in ihrem Sinne, wenn schwerpunktmässig die grossen Schweizer Verlage mit Steuergeldern unterstützt werden?

Zur Ironie der Geschichte gehört es, dass Pietro Supino mit seiner TX Group und die Project R Genossenschaft (Herausgeberin der «Republik») gemeinsam für die Medienförderung werben. Dabei gehört die journalistische Enttäuschung über Tamedia (heute TX Group) schon fast zum Gründungsmythos der «Republik».

Supino und «Republik» vereint

Die klassenkämpferische Attitüde der «Republik»-Journalisten ruht in diesem speziellen Fall aber: Gemeinsam mit Supino freut man sich auf die künftigen Millionen. Gratis-Online-Medien, wie sie etwa Christoph Blocher herausgibt, würden von der Medienabgabe hingegen nicht profitieren. Im Falle der «Republik» ist der Steuerzahler aufgerufen, einem erlahmten linken Startup-Unternehmen wieder ein bisschen Leben einzuhauchen. Im Falle der TX Group darf der Steuerzahler helfen, die Dividenden eines anspruchsvollen Aktionariats zu zahlen.

Die geplante Medienförderung stärke die «Unabhängigkeit der Medien», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga kürzlich an einem Branchenanlass. Das Gegenteil ist der Fall, die Medien würden stärker an den Staat gebunden. Was gut gemeint sein mag, schadet dem Journalismus und dem unternehmerischen Ehrgeiz. Dass die Verleger nicht die Kraft haben, sich aus der Umarmung der Politik zu befreien, ist bedauernswert. Gerade die Corona-Politik der Regierung, die mit der Einschränkung zahlreicher Grundrechte einhergeht, sollte deutlich machen, wie wichtig unabhängige und staatsferne Medien sind.

Artikel Original: https://www.nzz.ch/meinung/medienfoerderung-schweiz-staatshilfe-fuer-reiche-verleger-ld.1648667

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